Manchmal können überaus erfolgreiche Veranstaltungen - wie unsere letztjährige Alpentour - ganz schön unbequem sein. Nämlich dann, wenn die nächste ansteht und sich zwangsläufig an dem Vorgänger messen lassen muss. Eine Steigerung konnte sich bis dato kaum einer vorstellen, zumal sich die Teilnehmerzahl mehr als verdoppelt hat (bis zu 20 Personen auf 18 Transalps), was nicht unbedingt mit mehr Qualität einher gehen muss. Aber manchmal wird auch das Unvorstellbare wahr...
Sonntag, 28.7.
Der Sammelpunkt für dieses Jahr war ein Zeltplatz nördlich von Lindau. Die Teilnehmer kamen wie immer aus allen Regionen Deutschlands und der Schweiz. Die weiteste Anfahrt hatte - wieder mal - Thomas aus Berlin. Ältester Teilnehmer war - wieder mal - Bodo (Jahrgang 1941) aus Ravensburg, jüngste Teilnehmerin - erstmals - Sabrina (Jahrgang 1983) aus Dorsten. Das Wetter meinte es überaus gut mit uns. Bei Temperaturen um die 30° kamen wir beim Zeltaufbau sogar ganz schön ins Schwitzen. Umso länger konnten wir die laue Sommernacht beim Abendessen in der Kneipe genießen. Schließlich kannten sich viele noch nicht. Und obwohl wir für die Alpentour fast keine Werbung gemacht haben, waren drei ganz Neue dabei, die integriert werden mussten. Aber wie immer stellte das kein Problem dar.
Montag, 29.7.
Pünktlich um 5.45 Uhr weckte uns der Frühzug von Friedrichshafen, neben dessen Gleisen wir unser Lager aufgeschlagen hatten... Das hatte zur Folge, dass wir relativ schnell mit allem fertig waren. Trotz der großen Personenzahl konnten wir im Kreis frühstücken, ohne dass die Kommunikation darunter litt. Wir schmierten die frischen Brötchen auf den Topcases und ließen Butter, Marmelade und Wurst herum gehen - ganz so wie man sich das als Motorradromantiker vorstellt.
Um 10 Uhr gings dann los. Allerdings war erst mal nichts mit Kurven und Bergen. Die erste Prüfung stellte die österreichische Grenzstadt Bregenz dar, die wir komplett durchqueren mussten. Und da war heute ganz schön was los - und das bei nahezu 30°. Über eine Stunde verging, bis wir auf die Schweizer Autobahn kamen, auf der wir das dicht besiedelte Rheintal durchqueren konnten. Um die Mittagszeit war es dann endlich soweit: Wir standen an der Mautstelle zur Silvretta-Hochalpenstraße. Über die 10€ waren wir zwar alle ungehalten, freuten uns aber dennoch, dass es endlich los ging. Und es ging los: Schöne, angenehme „2.- und 3.-Gang-Kurven“ - genau das Richtige für unsere Transalps. Eine kurze Mittagspause machten wir auf knapp 2000m auf der Bieler Höhe an einem Stausee mit schönem Gletscherpanorama.
Weiter gings über die Silvrettastraße nach Landeck, das uns mit 34° im Schatten erwartete. Es war besser, die Helmvisiere im Stadtverkehr zuzulassen, denn beim Öffnen blies einem der warme Wind unangenehm ins Gesicht. Den Reschenpass ließen wie buchstäblich „links liegen“, da wir ihn letztes Jahr schon befahren hatten, und machten einen Schlenker durchs Engadin. Und wie sich’s für so einen Hitzetag gehört, kamen wir vor dem Ofenpass in ein Wärmegewitter. Dieses war allerdings relativ harmlos und nicht so heftig wie letztes Jahr (siehe Alpentour 2001). So um 18.00 Uhr kamen wir dann in Prad am Stilfser Joch im Zeltplatz an, wo wir bei angenehmen Temperaturen unsere Zelte aufschlugen. Abends ging es in eine nahe gelegene Pizzeria.
Dienstag, 30.7.
Heute sollte der erste „Großkampftag“ sein. Drei Pässe über 2500 m wollten wir uns - ohne Gepäck - vornehmen. Doch zunächst wurde die Stimmung massiv gebremst, denn genau zu unserem geplanten Start um 9.00 fiel der Startschuss für ein Fahrrad-Bergrennen mit 600 (!) Teilnehmern aufs Stilfser Joch. Nein, nicht gestern und nicht morgen - es musste heute sein, wenn wir da rauf wollten! Glücklicherweise werden in Italien die Straßen für solche Veranstaltungen nicht abgesperrt - in Deutschland absolut undenkbar -, so dass eine geringe Chance bestand, an den Fahrradfahrern vorbei zu kommen, bevor die ersten Kehren erreicht waren. Aber so richtig daran glauben tat zu diesem Zeitpunkt keiner von uns. Entsprechend war die Stimmung.
Es sollte wieder mal besser laufen als gedacht. Bei absolut „italienischer“ Fahrweise erreichten unsere Schnellsten tatsächlich die ersten Kehren vor den Radfahrern, und hatten ab da sogar eine leere Straße vor sich, da die Fahrrad-pulks die ganzen Autos zurück hielten. Allerdings muss man sagen, sind die berühmten 48 Spitzkehren auf der Ostseite des Stilfser Jochs kein fahrerischer Genuss, da die rechten zu eng für den 2. Gang sind. Dafür ist das Landschaftspanorama überwältigend. Oben angekommen und gesammelt machte sich eine Gruppe von immerhin 11 Fahrern auf den Weg zum Thöni-Hotel auf über 3000 m Höhe.
Erwähnenswert ist diese Aktion deshalb, weil es sich
1. bei dem Zubringerweg um eine Schotterpiste handelte,
2. Steigungsmaxima von 37% zu nehmen waren,
3. wir alle mit Straßenreifen fuhren und
4. nur die wenigsten Schottererfahrung hatten.
Trotzdem kamen alle heil und stolz oben an. Es sah halt wieder mal schlimmer aus, als es tatsächlich war. Am Hotel Thöni wurde noch fleißig Schi gefahren, und eine nette Schifahrerin machte unser Beweis-Gruppenfoto. Auch runter zu den anderen kamen wir alle heil wieder. Die Westseite des Stilfser Jochs ist zwar nicht so bekannt, machte aber wesentlich mehr Spaß, da die Kurven weiter sind, und die Landschaftseindrücke nicht weniger imposant. Kaum unten in Bormio angekommen gings zum nächsten Pass, dem Gavia. Hier entzückte vor allem die (Nord-)Auffahrt mit ihren angenehmen Kurvenradien. Man bekam so einen richtigen Rhythmus rein. Auf der Südseite ging es dafür sehr eng zu, mit stark ausgesetzten Stellen, die manchem Flachländer ein mulmiges Gefühl im Magen verursachten.
Im Tal in Edolo - im „richtigen“ Italien - angekommen saßen wir auf dem zentralen Platz in ein Straßencafé und machten ausgiebig Pause bei Hörnchen und Cappuccino. Danach fuhren wir über den relativ unbekannten und unspektakulären Fopa-Pass (2000 m) ins Adda-Tal Richtung Bormio. Wesentlich spektakulärer gestaltete sich dann die Westauffahrt zum Stilfser Joch. Kurz vor der Passhöhe zweigten wir ab zum Umbrail, den mit 2508 m höchsten Schweizer Alpenpass. Spaßfaktor: Mittel. Unseren letzten Abend am Stilfser Joch ließen wir wieder in der Pizzeria ausklingen. Eine kurze Episode soll hier noch erwähnt werden. Heute kamen wir sehr knapp an Gewittern vorbei, die recht zäh in den Bergen hingen. Zwei Unverdrossene waren allerdings so begeistert vom Stilfser Joch, dass sie abends um 18 Uhr noch mal zur Besteigung aufbrachen - obwohl der Pass voll in Regenwolken hing. Als sie dann ziemlich aufgeweicht aber glücklich zurück kamen, erzählten sie voller Begeisterung von nassen aber vollkommen leeren Straßen. Das ist Enthusiasmus!
Mittwoch, 31.7.
Auf dem Programm stand die Verlegung unserer Zelte an den Comer See. Dies war ein durchaus anspruchsvolles Unterfangen, da wir nun mit dem Stilfser Joch zusammen mit vollem Gepäck fünf „2000-er“ dicht hintereinander zu befahren hatten - also die reinste Achterbahn. Über die Pässe Foscagno und Eira kamen wir nach Livigno, wo wir eine Pause einlegten. Forcola, Bernina und Maloja konnten wir leider nicht mehr so recht genießen, da wir nun in ein mittelprächtiges Regengebiet reinkamen. Beim Aufstieg zum Forcola konnten wir dafür die beeindruckende Stimmung mit den gewaltigen dunklen Wolken in der Hochgebirgslandschaft genießen. Der Abstieg des Maloja gestaltete sich nicht so angenehm, da die teilweise sehr engen Kehren bei Nässe gefahren werden mussten. Das Gute war, dass der Regen bei unserer Ankunft am Comer See gerade mal aufgehört hatte, so dass wir die Zelte im Trockenen aufbauen konnten. Dann geschah etwas Sonderbares, das uns spätestens hier erkennen ließ, dass unsere Tour die Qualität vom Vorjahr tatsächlich übertroffen hat. Gesetzte Damen und Herren zwischen 30 und 50 stürzten sich ins Wasser und planschten ausgelassen herum wie die Teenager. Und sie hörten auch nicht auf, als der Regen wieder einsetzte - ein fast unwirkliches Bild vor der grandiosen Bergkulisse mit den mächtigen Regenwolken. Deutlicher konnte man die Stimmung wirklich nicht darstellen. Nichtsdestotrotz - der Hunger trieb uns nun in die nächste Pizzeria, wo wir den Abend verbrachten.
Donnerstag, 1.8.
Von einem „Großkampftag“ wie am Dienstag sollte heute nicht die Rede sein. Es standen lediglich zwei 2000-er zu bezwingen an. Wir waren dabei auch „nur“ 13 Teilnehmer. Der Rest machte sich einen faulen Tag auf dem Zeltplatz. Beim Start schien die Sonne, und die Temperaturen waren angenehm. Das erste Ziel war der Splügen-Pass, der sich gleich mal als ganz schön knackig darstellte. Zumindest auf der Südseite waren viele der Kehren nicht nur eng, sondern regelrecht „fies“ und dazu noch in unbeleuchteten Tunnels. Gott sei Dank kam kein Gegenverkehr, als sich der ein oder andere nach der Kehre auf der Gegenfahrbahn wieder fand. Belohnt wurden wir dafür kurz vor dem Pass mit einer grandiosen Hochgebirgskulisse bei einem Stausee mit mächtigen, dunklen Wolken. Der Abstieg gestaltete sich wesentlich einfacher. Im Hinterrheintal angekommen ging es sogleich zum zweiten Pass hoch, dem Bernardino. Die Wolken hatten sich mittlerweile so verdunkelt, dass wir jeden Moment die große Dusche erwarteten und uns vorsichtshalber in die Regenklamotten quetschten. Der Regen blieb allerdings aus. Dafür waren die Wolken auf der Passstraße so dicht, dass wir kaum unsere Vorder- und Hintermänner sehen konnten. Eigentlich schade, da die Südseite des Bernardino sich als erste Sahne erwies. Die Kehren waren ähnlich schön zu fahren wie die Nordseite des Gavia. Nur gut, dass wir 2/3 des Abstiegs wieder unter Sonnenschein zurücklegen durften. Die Strecke bis Lugano fuhren wir Autobahn, da das Tal sehr dicht besiedelt und kurventechnisch uninteressant ist. Die Großstadt Lugano durchquerten wir überraschend schnell. Der Grund dafür war der Nationalfeiertag in der Schweiz. Wieder im Euroland Italien am Ostende des Luganer Sees angekommen machten wir unsere obligatorische Cappuccino-Pause in einem Straßencafé an der Strandpromenade - so richtig italienisch halt wieder.
Heute waren wir um 16 Uhr wieder am Zeltplatz. Die Gelegenheit war also ideal für ein erfrischendes Bad im See. Die Zeit reichte dafür gerade, denn kaum aus dem Wasser raus, ging ein starkes Gewitter los, das heftigste auf unserer Tour. Einige Zelte bekamen innen etwas Wasser ab. Aber im Grunde waren wir schon ganz gut ausgerüstet. Wir mussten nun bis ca. 19 Uhr in der Zeltplatzkneipe ausharren, bevor wir wieder zum Abendessen aufbrechen konnten. Doch dafür dauerte der Abend umso länger.
Freitag, 2.8.
Kaum zu glauben, aber heute sollte es wieder über die Alpen zurück gehen. Je schöner der Urlaub, umso schneller geht er vorbei - das muss wohl so sein. Heute war der Tag, an dem wir unser Frühstück nicht selber machten, sondern richtig italienisch in einem Straßencafe einnehmen wollten. Nach Abbau und Packen fuhren wir Porlezza am Luganer See an und frühstückten nun stilecht an der Strandpromenade. Den Weg nach Norden fuhren wir durchs Tessin auf der Gotthard-Autobahn. Kurz vor dem Tunnel verließen wir die Bahn und befuhren den Nufenen-Pass mit über 2400 m. Die Kurven waren angenehm, aber nicht sehr zahlreich, die Hochgebirgseindrücke dafür wieder sehr imposant. Ein letztes Highlight unserer Tour war der Furka-Pass, der sich fast nahtlos anschloss.
Das Besondere hier ist der berühmte Rhone-Gletscher, der mal fast an eine der Kehren heran reichte. Heute muss man allerdings dazu schon ein Stück gehen, wobei die Schweizer auch noch Eintritt dafür verlangen. Nichtsdestotrotz ist er auch in 200 m Entfernung immer noch beeindruckend genug, und die Aussicht ins Rhonetal ist fantastisch. Unsere Mittagspause verbrachten wir in Andermatt. Nach einem weiteren kurzen Autobahnstück talabwärts befuhren wir den letzten Pass unserer Alpentour, den Klausen mit ca. 2000 m. Ein letztes Mal konnten wir die hochalpinen Eindrücke und die vielen Schräglagen genießen, bevor es im Tal auf die Autobahn nach Chur und Bregenz ging.
Allerdings hätte der Tag beinahe ein fatales Ende genommen. Bei Tempo 120 riss bei Heiner das Ventil im VORDERrad (!). D.h. die Luft war sofort raus. Die Fuhre kam massiv ins Trudeln und schlingerte über alle drei Fahrstreifen hin und her - eine Situation, die in 99% der Fälle zum Sturz führt. Doch scheinbar hatte Heiner einen guten Schutzengel. Er kam ungestürzt auf dem Seitenstreifen an! Während er sich von dem Schreck erholte, machten die anderen sich über seine Maschine her. Wir hatten Schläuche, Pumpe und Montierhebel auf einzelne Teilnehmer verteilt. Im Nu war das Motorrad wieder voll fahrbereit, und Heiner machte nicht den Fehler sich vom Schreck noch längere Zeit erholen zu wollen. Das Beste ist immer sofort wieder weiter zu fahren. Aufgrund der fortgeschrittenen Stunde ging es in Rekordzeit durch Bregenz durch, und im letzten Tageslicht konnten die verbliebenen 11 Teilnehmer - die anderen hatten sich schon nach und nach getrennt - ihre Zelte bei Lindau aufbauen. Zum letzten Mal aßen wir gemeinsam zu Abend.
Samstag, 3.8.
Der letzte Morgen war angebrochen. Das Wetter war schön und nicht zu heiß. Ein letztes Mal bildeten wir unsere Frühstücksrunde und warfen uns gegenseitig die Lebensmittel zu. Danach trennten sich die einzelnen Teilnehmer endgültig in alle Himmelsrichtungen.
Tja, wie soll man so eine Veranstaltung nun abschließend kommentieren? Vielleicht so: Eine solche kameradschaftliche, fast familiäre Stimmung gab in den 10 Jahren unserer Geschichte nicht. Jeder hat sich positiv eingebracht. Das Team hat sich trotz seiner Größe perfekt eingespielt, obwohl sich viele dort zum ersten Mal begegnet sind. Die tollen Fahr- und Landschaftseindrücke taten ein Übriges. Das ist doch unmöglich zu überbieten - oder? Aber das dachten wir letztes Jahr auch schon...
Organisation: Georg Spindler
Fotos: Thomas Wiemann, Mike Tschumper, Tobias Nirschl, Volker Oppermann, Steven Neubert